Entwicklungspsychologie

 

Wie fit sind Schüler in politischen Fragen im Vergleich zu Studenten?

Politische Sozialisation

Preiser beschreibt das politische Bewusstsein und politisches Handeln als Entwicklungsaufgabe folgendermaßen. Spätestens mit dem erreichen des Wahlalters sollen junge erwachsene sich für Politik interessieren, politische Sachverhalte differenziert beurteilen und kompetent politische Ziele verfolgen können. Obwohl es schon in Grundschulalter zu einer latenten politischen Sozialisation kommt werden die zentralen Entwicklungsaufgaben der politischen Sozialisation erst im Jugendalter bearbeitet. Folgende Gründe können dafür genannt werden (vgl. Preiser 2002, S. 874):

Die Resultate der politischen Sozialisation können sehr unterschiedlich sein und sind von Person zu Person verschieden. Hier kommt es zu Desinteresse, Politikverdrossenheit, Übernahme von elterlichen politischen Positionen, Extremismus oder politischer Partizipation mit dem Willen zur Teilnahme und Mitgestaltung.

Buhl definiert die politische Sozialisation ähnlich. Sie versteht darunter aber auch einen Lernprozess, in dem sich ein Individuum jene Persönlichkeitsmerkmale, Kenntnisse, Einstellungen, Fähigkeiten und Werte aneignet, die politisches Bewusstsein und politisches Verhalten strukturieren. […] Im Rahmen der politischen Sozialisation soll das Individuum zum Mitglied der Gesellschaft werden und die jeweilige Rolle zu übernehmen. Das Individuum muss einerseits lernen, was von ihm von der Gesellschaft erwartet wird, andererseits muss es sich die notwendigen Fähigkeiten erwerben, um sich diesen Erwartungen entsprechend verhalten zu können (vgl. Buhl 2003, S. 16f).

Politik- und Parteienverdrossenheit

Es scheint so, dass die traditionelle Parteipolitik nicht mehr up to date ist. Gerade Jugendliche können sich nicht mehr eindeutig mit deren Arbeit beziehungsweise Ansichten identifizieren. Wie bereits bei der Einleitung näher erläutert, finden Jugendliche kein Gehör mehr in der Politik und kommen sich nicht verstanden vor. Jedoch ist dieser Trend auch bei Erwachsenen zu erkennen. Das Vertrauen in die traditionellen politischen und gesellschaftlichen Institutionen scheint verloren zu gehen und nimmt stetig ab. Dies soll aber nicht heißen, dass Jugendliche nicht interessiert in gesellschaftliche oder politische Fragestellungen sind. Teenager und junge Erwachsene haben lediglich andere Wege und Formen gefunden, sich in diesem Sinne zu engagieren. Unter dem Begriff der Politikverdrossenheit versteht Preiser einen umgangssprachlichen Begriff, der Misstrauen, Unzufriedenheit und Interesselosigkeit gegenüber dem politischen System beinhaltet. Dies äußert sich wiederum in Desinteresse, sinkender Wahlbeteiligung, fehlenden Nachwuchs für die einzelnen Parteien und nachlassender Bindung zu diesen Parteien. Weiters erfolgt eine Unterscheidung in zwei Formen. Erstens spricht man von Politiker- und Parteienverdrossenheit als aktuelle Unzufriedenheit, und zweitens von Politik- oder Staatverdrossenheit als generelle Unzufriedenheit mit dem politischen System und den demokratischen Institutionen (vgl. Preiser 2002, S.875).

„Politikverdrossenheit als morbus politicus kann im Vorfeld des politisches Prozesses oder in ihm selbst, seinen Akteuren und seinen Produkten wurzeln. […] Wie die Dinge liegen gibt es mehrere Ursachen und ist der Herd nicht eindeutig lokalisierbar. […] Gegenüber Politikverdrossenheit ist Parteienverdrossenheit der engere Begriff. Als anhaltende unbestimmte Missstimmung ist sie gefährlich, als bestimmte kann sie nützlich sein. […] Zwei Meinungen über die Genese unseres derzeitigen morbus politicus der Parteiendemokratie werden hervorgebracht: Die erste deutet auf moralische oder Kompetenzdefizite der politischen Klasse – Stichworte sind Korruption, mangelnde Sensibilität oder Inkompetenz. […] Die andere Meinung über die Genese unserer derzeitigen Parteienverdrossenheit weist auf Informations- und Urteilsmängel im Publikum“ (vgl. Weihnacht 1994, S.8f).

Wie stark die Politikverdrossenheit ausgeprägt ist, lässt sich am Verhältnis jedes einzelnen zu Politik erkennen. Eine Person ohne Interesse wird sich nicht aktiv am politischen Geschehen engagieren wollen. Daher lässt sich Politikverdrossenheit auch an abnehmenden Mitgliedszahlen in politischen Parteien ablesen. Die Parteienverdrossenheit ist eng mit der Politikverdrossenheit verknüpft. Jedoch richtet sich die ablehnende Haltung beziehungsweise die Inaktivität auf die Arbeit mit und in Parteien.

Wahlbeteiligung

Generell kann man sagen, dass auf Bundes- und Landesebene ein langfristiger Trend bezüglich des Sinkens der Wahlbeteiligung zu erkennen ist. Laut Soziologen wird dies darauf zurückgeführt, dass die politischen Unterschiede zwischen den Parteien immer schwerer für die Wähler erkennbar sind. Zudem ist ein vermehrtes Misstrauen in die Parteiendemokratie zu erkennen.

Die Grafik zeigt den Verlauf der Wahlbeteiligung der Bundestagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Betrachtet man die Grafik genauer so ist der Trend zur Wahlenthaltung deutlich zu erkennen. Obwohl die Wahlbeteiligung in Deutschland tendenziell noch höher ist als bei anderen europäischen Ländern ist dieser Verlauf der letzten 55 Jahre doch alarmierend anzusehen. Bei der letzten Bundestagswahl 2005 war die Wahlbeteiligung mit 77,7 % so gering wie noch nie nach dem 2.Weltkrieg.

Aber auch in Österreich ist die Tendenz zur Wahlabnahme zu erkennen. Bei den Landtagswahlen 2005 in Wien war die Wahlbeteiligung mit 60,8 % so gering wie noch nie in der 2.Republik. Vier Jahre zuvor waren immerhin noch 66,6 % der Wiener Bevölkerung zur Wahlurne gegangen. Die bis dahin geringste Wahlbeteiligung gab es 1987 mit 63,7 %. Mit diesem schlechten Wert ist Wien auf die letzte Position gerückt und steht stellvertretend für die „faulsten“ Wähler in ganz Österreich. Im Gegensatz dazu liegt die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen 2005 in Burgenland bei 81,38 und war somit das einzige Bundesland mit einer Beteiligung von über 80 %. Erstmals seit 1974 zeigte sich ein leichtes Plus in der Wahlbeteiligung in der Steiermark. Dort nutzen 76,19 % der Bevölkerung ihr Wahlrecht und somit ist dieses Bundesland das Einzige mit einem Plus in der Wahlbeteiligung.

Interesse an der Politik

Die Shell Jugendstudie (www.shell-jugendstudie.de) bestätigt auch, dass das Interesse an Politik in der heutigen Jugend weiter rückläufig ist. Die Studien die das Energie-Unternehmen an führende und unabhängige Institute in Auftrag gibt, gelten als Standardwerke der Jugendforschung. Die 14. Shell Jugendstudie wurde 2002 veröffentlicht und beinhaltet unter anderen das besondere Politik-Verständnis Jugendlicher und den Wertewandel der Jugend in Deutschland. Hier gaben 35 % der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren an, sofern sie wahlbeteiligt wären, sich ganz sicher an den nächsten Bundestagswahlen zu beteiligen.

Weniger als 50 % der deutschen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bekunden ein Interesse an Politik. Für das Jahr 1999 lassen sich deutliche Unterschiede zwischen 15- und 24-Jährigen feststellen (33 versus 52 %). Für die Gesamtgruppe ergibt sich zwischen 1984 und 1999 einen Rückgang von 55 auf 43 % (vgl. Preiser 2002, S. 876).

Auch Buhl versucht das stetig sinkende Interesse an der Politik zu beschreiben. „Den Stellenwert, den junge Menschen dem Lebensbereich Politik zuschreiben, muss in Zusammenhang gesehen werden mit dem Ausmaß, in dem sich Jugendliche von der Politik angesprochen fühlen. […] Aufgrund fehlender politischer Lösungsansätze beziehungsweise deren mangelnde Durchsetzbarkeit für zukunftsrelevante gesellschaftliche Probleme wie etwa Massenarbeitslosigkeit, nachhaltige Umweltbelastung oder Überbevölkerung scheint es der Politik immer weniger zu gelingen, zu überzeugen und daraus folgend die Beteiligungsbereitschaft der Jugend zu fördern (vgl. Buhl 2003, S. 26 ff.).

Literatur


Zu weiteren Themen der Entwicklungspsychologie

Entwicklungspsychologie SS 2006




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