Mietzel, Gerd (2002). Wege in die Entwicklungspsychologie. Kindheit und Jugend. Weinheim: BeltzPVU.
Oerter, R. & Dreher, E. (2002). Jugendalter. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.). Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag.
Jugendliche sind in dieser Phase der Entwicklung sehr mit ihrem eigenen Denken beschäftigt und gehen deshalb davon aus, dass andere sich genau so oft Gedanken über sie machen wie sie selbst. Diese Feststellung trifft den Kernpunkt der Ich-Entwicklung in der Adoleszenz ziemlich genau - Jugendliche sind stets der Überzeugung, dass sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von anderen stehen (vgl. Mietzel, 2002, S. 338 ff).
In dieser Phase des Egozentrismus überschätzen Jugendliche oft ihre Einzigartigkeit und Besonderheit und dies kann mitunter verhängnisvoll enden. Heranwachsende sind oft der Meinung, dass sie unverwundbar sind, was sich auch in Berichten von Drogenabhängigen widerspiegelt.
Warum setzen sich Jugendliche oft so großen Gefahren aus? Nicht etwa, weil sie Gefahren nicht einschätzen können. Ganz im Gegenteil - sie können dies durch ihre geschärfte Beobachtung oft besser als Erwachsene. Viel mehr ist es der Reiz Mutproben zu bestehen um von anderen anerkannt zu werden und somit bestehenden Minderwertigkeitsproblemen entgegenzuwirken. Heranwachsende mit starkem Rückhalt durch die Familie sind selbstbewusster und geraten weniger oft in Schwierigkeiten wie Jugendliche mit weniger festem Rückhalt der Eltern. Oft wird von Jugendlichen die Gefahr nicht gesucht aber durchaus in Kauf genommen, wenn der Nutzen höher ist als der Schaden, der angerichtet werden könnte. Der Glaube an die Einzigartigkeit nimmt im Verlauf der Adoleszenz immer mehr ab (vgl. Mietzel, 2002, S. 341 ff).
Die schnellen körperlichen Veränderungen zu Beginn der Pubertät bedeuten sowohl für Jungen als auch für Mädchen oft das abrupte Ende der Kindheit. Vor allem die Körpergröße, das Gewicht und die Körperbehaarung nehmen in dieser Zeit (dauert etwa zwei Jahre) besonders stark zu (vgl. Mietzel, 2002, S. 351 ff).
Die meisten Jugendlichen betrachten ihren Körper immer genauer, sie stehen vor dem Spiegel und machen sich Gedanken über ihr körperliches Aussehen. Ihnen entgeht kein Pickel oder Mitesser. Auch Klagen über eine zu große Nase oder zu große Füße stehen im Mittelpunkt und gehen fast bei keinem Jugendlichen vorüber (vgl. Mietzel, 2002, S. 357).
Da in der Adoleszenz das Aussehen im Mittelpunkt steht, nimmt die körperliche Attraktivität einen großen Stellenwert ein. Viele Jugendliche haben in dieser Zeit Angst nicht akzeptiert zu werden, da ihr Äußeres nicht dem „idealen Erscheinungsbild“ entspricht. So sind Jungs oft besorgt, wenn sie nicht so breite Schultern bekommen wie der Superheld aus dem Fernsehen, der die perfekte Männlichkeit darstellt. Auch Mädchen erkennen oft, dass sie nicht so eine schmale Taille haben wie Models aus der Werbung. Sie orientieren sich daher sehr oft an Idolen um ihr eigenes Selbst zu finden. Natürlich ist der Druck, sich an seine Idealbilder anzunähern, sehr groß. So kommt es bei jungen Menschen in seltenen Fällen dazu, dass sie zu Maßnahmen greifen, die sich erheblich negativ auf die Gesundheit auswirken. Ein Beispiel dafür wäre, eine starke Veränderung der Essgewohnheiten, welche in extremen Fällen zu Magersucht führen kann. Selbstfindung kann ohne Vorbilder nicht stattfinden. Viele Jugendliche eifern Ihren Idolen hinterher ohne irgendwelche Grenzen zu kennen (vgl. Mietzel, 2002, S. 357 ff).
In der Phase der Adoleszenz versuchen die Jugendlichen das Verhältnis zu ihren Eltern und anderen Autoritäten neu zu ordnen und unabhängig von ihnen zu werden. Eine große Unterstützung dabei sind Gleichaltrige, so genannte „Peers“. Dieses Bemühen wird von den Erwachsenen durchwegs kritisch kommentiert (vgl. Mietzel 2002, S. 379).
In der frühen Adoleszenz (zw. 12 und 15 Jahren) kommt es häufig zu Konflikten zwischen Eltern und Kinder. Das erfolgreiche Widersetzen gegen die Eltern hat aber positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Jugendlichen. Die Themen sind über die Jahre immer dieselben geblieben: Kleiderwünsche, Tätowierungen, Unordnung im Zimmer, etc. Es ist festzustellen, dass nur oberflächliche Themen im Vordergrund stehen und selten politische oder religiöse Werte. Eltern sehen das Verhalten ihrer Heranwachsenden durch eine moralische Linse, die Kinder hingegen fühlen sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt (vgl. Mietzel 2002, S. 381 f.).
Die Konflikte werden jedoch gegen Ende der Adoleszenz schwächer, da die Eltern und Jugendlichen ein neues Verständnis füreinander aufbauen.
Im Abschnitt der Adoleszenz werden Jugendliche immer selbstbewusster und beschäftigen sich mit der Frage, wer sie denn seien. Auf der Suche nach der Identität sind zwei Prozesse die antreibende Kraft, nämlich Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung (d.h. an sich arbeiten und sich zu formen) (vgl. Oerter R. & Dreher E. 2002, S. 292).
Anna Freud ist in ihrem psychodynamischen Ansatz der Auffassung, dass diese turbulente Phase auf der Freisetzung von libidinösen Energien beruht, die einen Anstieg von impulsiver Aktivität mit sich bringt. Das wiederum führt zu einer Steigerung von Aggressivität, Neugier und Egozentrität (vgl. Oerter R. & Dreher E. 2002, S. 265).
Es stellt sich nun die Frage, wie sich dieser Egozentrismus auf das alltägliche Verhalten auswirkt. David Elkind (1978) hat beobachtet, dass sich Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren so verhalten, als ständen sie permanent unter Beobachtung eines Publikums. Sie treten teilweise als Weltverbesserer in Erscheinung, ohne sich selbst an die eigenen Empfehlungen zu halten (vgl. Mietzel, 2002, S 339).
Jugendliche bilden sich oft ein, von anderen beobachtet zu werden obwohl dies nicht der Fall ist. Ein Beispiel hierfür wäre folgende Situation: Man lässt im Restaurant eine Gabel fallen und glaubt, alle anderen Gäste starren einen an, obwohl dies nicht der Fall ist. Weiters ist in der frühen Adoleszenz ein Faux-pax, wie ein Fleck am T-Shirt besonders peinlich. Diese Peinlichkeiten nehmen aber in der späteren Adoleszenz ab, da die Jugendlichen erkennen müssen, dass sie für andere nicht so interessant sind, wie sie annehmen (vgl. Mietzel, 2002, S 339 ff).
Robert J. Havighurst hat in den 40er Jahren das Konzept der Entwicklungsaufgaben entwickelt, in dem er Entwicklung als Lernprozess auffasst. Als Quelle gelten physische Reifung, gesellschaftliche Erwartung und individuelle Ziele und Werte. Entwicklungsaufgaben sind zB: Peer, Körper, Beziehung, Beruf, Partnerschaft, Zukunft. „Eine Entwicklungsaufgabe stellt ein Bindeglied dar im Spannungsverhältnis zwischen individuellen und gesellschaftlichen Anforderungen.“ (vgl. Oerter R. & Dreher E. 2002, S. 268 ff.).
Nach Beendigung der körperlichen Veränderungen, der Gewinnung von Selbständigkeit gegenüber den Eltern und der Neuordnung der Beziehung zu Gleichaltrigen (Jungen und Mädchen) beginnen Jugendliche sich ihrer eigenen Person zu widmen: „Wie soll meine Zukunft aussehen?“.
Es hat sich nun ein ziemlich realistisches Selbstbild entwickelt und die eigenen Stärken und Schwächen sind bekannt. Die Identitätsfindung ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Erst wenn die Jugendlichen folgende Fragen beantworten können, gilt die Identität als gefunden: Berufswahl, Religion, politische Einstellung, Familienstatus (vgl. Mietzel 2002, S. 385 ff.).
1966 im Anschluss an Eriksons Identitätskonzept entwickelte James Marcias ein Verfahren zur Erfassung des aktuellen Identitätsstatus In welche Kategorie man Jugendliche einordnen kann hängt davon ab, welche verbindlichen Entscheidungen er getroffen hat. Wünschenswert wären klare Entscheidungen bezüglich der persönlichen Ziele nach einer Phase der Unsicherheit und des Experimentierens. Dies tritt frühestens in der späten Adoleszenz auf (vgl. Oerter R. & Dreher E. 2002, S. 295).