„Ein Konflikt ist das gleichzeitige Bestehen und Anlaufen von mindestens zwei widerstreitenden Tendenzen“ wird Hofstätter (1957) in der vom bayerischen Jugendrotkreuz herausgegebenen Arbeitshilfe „Streitschlichtung“ für Lehrer und Gruppenleiter zitiert. In Folge werden diese Tendenzen als Gefühle, Personen Interessen, Beurteilungen und Verhalten konkretisiert und es wird hervorgehoben, dass Konflikte weder gut noch schlecht sind. „Positiv betrachtet sind sie natürliche, gesunde und keineswegs destruktive Ereignisse und stärken soziale Beziehungen“ (Schnorbach u.a., 2003, S.12). Diese Konfliktdefinition bildet den Ausgangspunkt unserer Beobachtung.
Jugendliche und Erwachsene kommunizieren oft in einer „anderen Sprache“, wie sich in unzähligen Diskussionen zwischen Pubertierenden und deren Eltern leicht beobachten lässt. Aber auch wenn man als Erwachsener einem Gespräch unter Jugendlichen lauscht, werden diese Unterschiede im Wortschatz, der Ausdrucksfähigkeit, der Mimik, der Gestik, der Lautstärke rasch auffallen. „Die verbale Kommunikation in Jugendgruppen ist durch einen Sprachstil gekennzeichnet, den man Jargon bezeichnet“ (Oerter & Montada, 2002, S.314).
„Aufgabe der Wahrnehmung ist es, den sich ständig verändernden, oft chaotischen Input aus äußeren Energiequellen über die Sinnesorgane aufzunehmen und zu stabilen, geordneten Perzepten, die für den jeweiligen Betrachter relevant sind, zu organisieren. Ein Perzept ist das, was wahrgenommen wird. Es ist weder der physikalische Gegenstand (distaler Reiz) noch sein Abbild in einem Rezeptor (proximaler Reiz). Vielmehr handelt es sich um das erfahrene (phänomenale) Ergebnis des gesamten Wahrnehmungsprozesses, der so unterschiedliche psychische Vorgänge wie Zusammenfügen, Urteilen, Schätzen, Erinnern, Vergleichen und Assoziieren umfasst“ (Zimbardo, 1995, S.159). Diese Beschreibung des Phänomens Wahrnehmung macht die Individualität der wahrgenommenen Eindrücke deutlich.
Einen weiteren Ansatz, der die Subjektivität der Wahrnehmung beschreibt findet sich im sogenannten „Vier-Ohren-Modell“ von Friedemann Schulz von Thun: Der Psychologe teilt dabei die Nachricht, die vom Empfänger aufgenommen wird in Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Appell und Beziehung (zwischen Sender und Empfänger). Die empfangene Botschaft wird sehr wahrscheinlich nicht auf allen Ebenen mit der gesendeten hundertprozentig übereinstimmen, sondern vom Empfänger individuell wahrgenommen werden (vgl. von Thun, 2004, S. 44ff):
Für uns liegt es nun auf der Hand, dass es, durch eine unterschiedliche Wahrnehmung, auch Unterschiede im Selbstbild zum Fremdbild geben kann. Vor dem Hintergrund der speziellen Kommunikation unter Jugendlichen und der subjektiven menschlichen Wahrnehmung, ist es für uns von besonderem Interesse, inwieweit Konfliktlösungen unter Jugendlichen von diesen und „von außen“ gesehen werden, und ob Selbstbild und Fremdbild in etwa übereinstimmen oder divergieren. Daher haben wir auch bei unserer Beobachtung, die später näher erklärt wird, den Schwerpunkt auf diese Unterschiede gesetzt.
Der Beobachtungsbogen wurde in zwei Kategorien eingeteilt: zuerst, wie sich der Proband in der Gruppe fühlt und weiters die Kategorie, wie man sich selber fühlt und sieht. Der Proband und wir Beobachter bekamen die gleichen Bögen zum Beurteilen.
In der Kategorie „Gefühl in der Gruppe“ wurden die einzelnen Fragen mit „ja“ oder „nein“ beantwortet, während im zweiten Teil auf einer 6 Zentimeter langen Zeile die Tendenz zu einer der beiden gegensätzlichen Aussagen markiert werden sollte. Hierbei fügten wir keine Unterteilungen ein, da wir die Probanden mit einer Unterteilung nicht beeinflussen wollten.
In der Auswertung maßen wir dann die Stellen der Markierungen, rundeten diese auf halbe Zentimeter auf oder ab und verglichen sie mit unseren eigenen Beobachtungen. Die erste Kategorie werteten wir nicht aus, da sie mit „ja“ oder „nein“ entweder 100prozentige Übereinstimmung oder Abweichung ergeben hätte.
Ein Grossteil der standardisierten Verfahren zur Erfassung der kindlichen Persönlichkeit ist äußerst aufwendig und erfasst nur spezielle Aspekte dieser. Auch unsere Beobachtung lässt sich schwer in einen Rahmen voller objektiver Bewertungen stecken, auch wenn durch die subjektive Betrachtung generelle Aussagen über Unterschiede in Fremd- und Selbstbild schwer möglich sind (vgl. auch Stangl, 1988).
Die TeilnehmerInnen 10 unterschiedliche Sachen als Vorgabe, die man in einen Schulunterricht beziehungsweise zu einem normalen Schultag mitnehmen kann. Danach sollten sie sich zuerst 5 Minuten alleine überlegen, für welche 3 Sachen sie sich entscheiden würden. Anschließend wurde die Entscheidung in der Gruppe diskutiert und die Probanden sollten in ihrer Gruppe zu einem einstimmigen Konsens kommen, den alle tragen und den sie auch begründen können. Danach füllten die Probanden die Beobachtungsbögen aus und wir als Beobachter ebenfalls.
Einerseits hat der / die TeilnehmerIn ein Bild von sich selbst, wie er sich selbst fühlt und wie er sich in einer Gruppe verhält. Andererseits entwickelt der Beobachter ein Bild vom Beobachtenden, welches das Resultat von einer Kombination aus Wahrnehmung, Urteilsbildung und Interpretation ist. Hierbei kann es jedoch zu einer starken Differenz zwischen Selbst- und Fremdbild kommen und wir wollten wissen, ob es sich bestätigt, dass Jugendliche durch ein falsches Fremdbild falsch verstanden werden. Wie man anschließend im Ergebnisbericht sehen kann, stimmt dies bei einem Grossteil der Fälle. Allerdings wurde unser Ergebnis auch manchmal von der Uninteressiertheit der Probanden beeinflusst.
Nach Betrachtung der Ergebnisse kann man sehr gut feststellen, dass das „Nicht Verstehen“ von Erwachsenen und Jugendlichen sehr groß ist. Dabei muss man bedenken, dass wir noch sehr „junge“ Erwachsene sind und aus diesem Grund uns vielleicht noch besser in die Jugendlichen hineinversetzen können. Jedoch hat die Beobachtung gänzlich Differenzierendes gezeigt. Die Unterschiede in den Bewertungen sind zwischen Beobachter und Proband sehr groß, wobei die Unterschiede zu den weiblichen Probanden ein bisschen geringer sind als zu den männlichen Probanden. Bei den Ergebnissen ist deutlich abzulesen, dass wir Beobachter nie genau den gleichen Wert in das Polaritätsprofil eingetragen haben, wie die Probanden. Das gibt doch einigermaßen zu denken.
Jedoch ist es wichtig einige kritische Punkte dieser Untersuchung anzumerken. Die Stichprobe von 15 Teilnehmern ist alles andere als repräsentativ. Doch war es uns aufgrund des enormen Zeitaufwandes nicht möglich eine repräsentative Stichprobe für die Untersuchung zu beobachten. Auffallend war auch die unterschiedliche Motivation der Teilnehmer die sehr divergierte. Die Motivation könnte man als Moderatorvariable in der Untersuchung berücksichtigen, da wir schon davon ausgehen, dass weniger motivierte Probanden das Polaritätsprofil nicht sehr wahrheitsgetreu ausgefüllt haben. In unserem Fall ist die Motivation leider eine Störvariable, da wir sie einfach unbeachtet gelassen haben. Für eine Untersuchung ähnlicher Art wird es also von großer Wichtigkeit sein, Störvariablen schon im voraus zu erkennen und diese in der Untersuchung zu berücksichtigen.
Ebenfalls erwähnenswert sind die unterschiedlichen Beobachter pro Person innerhalb einer Kleingruppe. Die Beobachtungen stützen sich auch wieder nur auf ein subjektives Empfinden der Beobachter und es stellt sich nun die Frage, ob ein anderer Beobachter den gleichen Proband anders bewertet hätte oder nicht. Im Idealfall müsste ein und dieselbe Person die Beobachtung für alle Personen und Gruppen übernehmen um vor diesem Fehler der unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungen gefeit zu sein. Aber auch dieser Lösungsversuch ist sehr schwer umsetzbar, da man einfach bei mehreren Personen als Beobachter überfordert ist und so die Möglichkeit besteht, wieder ein verfälschtes Ergebnis zu erhalten.
Im Hinblick auf die Gruppe der Jugendlichen wäre es auch professioneller gewesen, die Untersuchung an einer Kontrollgruppe zu testen. Man könnte als Kontrollgruppe eine Erwachsenengruppe mit Erwachsenenbeobachter zusammenstellen und so mit den Ergebnissen dieser Gruppe vergleichen. Stimmen bei der Kontrollgruppe die Ergebnisse der Probanden mit denen der Beobachter im Großen und Ganzen überein, kann man davon ausgehen, dass die Erwachsenen die Jugendlichen wirklich falsch einschätzen und falsch beurteilen. Wären jedoch die Ergebnisse der Kontrollgruppe ebenfalls so divergent wie bei der ursprünglichen Untersuchung liegt das Missverständnis vielleicht bei den Beobachtern und nicht bei der Gruppe der Jugendlichen, denn man könnte davon ausgehen das andere Beobachter zu beinahe identen Ergebnissen gelangen.
Wie man an der Vielzahl der kritischen Punkte sehen kann, war die Untersuchung keinesfalls für eine wissenschaftliche Untersuchung geeignet. Doch wir haben auch sehr viel daraus gelernt und denn Jugendlichen wie auch uns hat es viel Spaß gemacht miteinander zu arbeiten.
Oerter, R. & Montada (2002): Entwicklungspsychologie. 5., vollständig überarbeitete Auflage. München: Beltz.
Rosenstiel, L. v. (2003): Grundlagen der Organisationspsychologie. Basiswissen und Anwendungshinweise. 5., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Schnorbach, T., Legl P., Brenner, T., Steinhart, S. & Hießerich, S. (2003): Arbeitshilfe „Streitschlichtung“ für Lehrer und Gruppenleiter. München: Eigenverlag Bayerisches Jugendrotkreuz.
Stangl, W. (1988): Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, Heft 4, S. 221-237.
Wellek, A. (1981): Das Experiment in der Psychologie. In Wewetzer, K.-H. (Hrsg.), Experiment Test Befragung. (S.29-58). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Zimbardo, P.G. (1995): Psychologie. 6. Aufl., Berlin u.a.: Springer
Zuschlag, B. & Thielke, W. (1992): Konfliktsituationen im Alltag. Ein Leitfaden für den Umgang mit Konflikten in Beruf und Familie. 2., ergänzte und überarbeitete Auflage. Stuttgart: Verlag für Angewande Psychologie