Schlankheit war bereits in den 20er Jahren Schönheitsideal. In den 50er Jahren kamen schlanke Frauen mit üppigen Kurven in Mode. Schlankheit war immer ein Zeichen für Emanzipation. Durch „Twiggy“ wurde erstmals eine „magere“ Frau zum Ideal erhoben. In den 80er Jahren wurde dann der muskulöse Frauenkörper modern.
Durchgehend schlanke und straffe Körperformen sind heute gefragt. Man spricht auch vom Unisex-Körper oder dem Vermännlichungsphänomen (vgl. Posch 1999, S. 69f). Das persönliche Glück wird heute über die körperliche Erscheinung definiert. Noch nie war die Vorstellung von Schönheitsidealen so einheitlich wie in unserer gegenwärtigen Gesellschaft.
Siehe dazu die Arbeitsblätter: Essstörungen - Schwerpunkt Jugendliche
Großteils wird Bulimie als eine Essstörung mit Heißhungerattacken und einem darauf folgenden selbstinduzierten Erbrechen in Verbindung mit einem Abführmittelmissbrauch bzw. Substanzmissbrauch bezeichnet (vgl. Focks 1994, S 17).
In einer zu Beginn der 80er Jahre von Ziolko durchgeführten Studie zeigte, dass die meisten betroffenen Frauen einen oder mehrere Essensanfälle pro Tag haben. Dieser findet vorzugsweise in den Abendstunden statt und dauert von 15 Minuten bis zu erstaunlichen 43 Stunden. Bei einem Heißhungeranfall werden ca. 1 000 bis zu
55 000 (!!!) Kalorien zu sich genommen (vgl. Böhme-Bloem & Schulte 1990, S 37f.).
Die Bulimieerkrankung entwickelt sich dabei schleichend und verdeckt. Die Umwelt hat lange keine Kenntnisse von den Essproblemen der Betroffenen, da sich bulimische Frauen nach außen meist unauffällig bis perfektionistisch verhalten und eine enorme Leistungsfähigkeit aufweisen. Typisch ist die Heimlichkeit, in der das Verhalten abläuft, denn in der Öffentlichkeit demonstrieren die Betroffenen einen maßvollen und zurückhaltenden Umgang mit der Nahrungsaufnahme (vgl. Focks 1994, S 17).
Bulimikerinnen haben häufig ein geringes Selbstwertgefühl, verbunden mit einem Gefühl der Fremdkontrolle. Sie widmen ihrem Aussehen eine verstärkte Aufmerksamkeit und leben daher in einer ständigen Angst vor einer Gewichtszunahme. Nach Focks (1994, S 22) entwickeln bulimische Frauen weiters eine besondere psychische Disposition, wobei sie ein verstärktes Bedürfnis nach Anerkennung haben.
Viele betroffene Frauen fühlen sich für das Glück und die Zufriedenheit ihrer Eltern verantwortlich. In der Familienstruktur sind die Rollen der Mitglieder verstärkt auf Geschlechtsstereotypen ausgerichtet. Die persönliche Interaktion findet großteils nur zur Mutter statt, da die Väter berufsbedingt wenig Zeit für ihre Familie haben. Materieller Wohlstand nimmt eine zentrale Bedeutung innerhalb der Familie ein. In solchen Familienstrukturen zählen Werte wie Fleiß, Anstand, Pflichterfüllung, Leistung, Ordnung und Bildung (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1997, S 35ff).
Hat die Natur nicht von sich aus optimal vorgebaut, so wird ein schlanker Körper durch Verlust eines genussvollen Essens herbeigeführt. Bulimie erscheint für viele Frauen die perfekte Lösung zu sein um dauerhaft schlank zu sein (vgl. Cuntz & Hillert 1998, S. 13f.).
Der Höhepunkt der Erstmanifestation von Bulimie liegt in der Adoleszenz. Eine bedeutende Rolle spielen bei jungen Frauen Identifikationsschwierigkeiten bei der eigenen Geschlechterrolle (vgl. Wilk 2002, S 176).
Quelle: o.V. http://www.pro_ana.gsi.pl/nav.html (2005-12-20).
Der Verzehr von großen Nahrungsmengen innerhalb kurzer Zeit bedeutet eine große Belastung für den Magen. Die Folgen reichen von Völlegefühl und Bauchschmerzen bis hin zu einer Erweiterung des Magens. Weiters kommt es zu einer Störung der Magenentleerung und einer Verzögerung der Darmpassage, deren unangenehme jedoch noch harmlose Konsequenzen Durchfall, Blähungen oder Verstopfung sein können.
Häufiges Erbrechen sowie abführende und entwässernde Produkte führen zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlust. Über einen längeren Zeitraum kann dies zu Herzrhythmusstörungen, Nierenversagen oder Muskellähmungen führen. Weiters wird durch den hohen Säuregehalt des Erbrochenen der Zahnschmelz stark angegriffen, aber auch ein wunder Rachen, Mund- und Zahnfleischgeschwüre, wie etwa eine Schädigung der Schleimhaut und/oder Speiseröhre können auftreten (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999, S 17f.).
Als psychische Folgen lassen sich schwere Schuld- und Schamgefühle, die Bulimikerinnen häufig entwickeln, anführen. Diese Gefühle richten sich einerseits gegen das Essverhalten und sind andererseits mit der Erkenntnis der Unkontrollierbarkeit ihres Essverhaltens verbunden. Viele Ess-Brechsüchtige leiden unter starken Stimmungsschwankungen, Gefühlen wie Wert- und Sinnlosigkeit sowie Depressionen mit Suizidgedanken (vgl. Westenhöfer 1996, S 57).
Die Betroffenen halten ihre Bulimie oft sehr lange geheim, was einen sozialen Rückzug begünstigt, der zur Vereinsamung und im Extremfall zu sozialer Isolation führen kann (vgl. Prahl & Setzwein 1999, S 113).
Die ökonomische Situation der Betroffenen kann durch das exzessive Essverhalten beeinträchtigt werden, da die Aufnahme großer Mengen von Nahrungsmitteln einen hohen Kostenaufwand erfordert, der zu einer finanziellen Belastung werden kann.
Die organische Behandlung von Bulimie konzentriert sich ausschließlich auf die Symptome und ihre sekundären Wirkungen. Zur Bekämpfung der Symptome werden appetit- sowie verdauungsfördernde Mittel verabreicht (vgl. Palazzoli 1986, S 121).
Es ist wichtig, die komplexen Interaktionen zwischen den Patienten und denen, die mit ihnen leben zu untersuchen und zu ändern. Die systemische Familientherapie ist eine der wirkungsvollsten Behandlungsmethoden bei Essstörungen. Hierbei geht es darum innerfamiliäre Kommunikationsstörungen, verstrickte Beziehungsmuster und Themen, die in der Familie tabuisiert werden, aufzudecken und zu lösen (vgl. Palazzoli 1986, S 131).
Primärprävention wendet sich an Personengruppen, die keine besonderen Risikogruppen darstellen und bei denen das relevante Problem noch nicht aufgetreten ist. Sie zielt darauf ab sicherzustellen, dass eine Störung gar nicht erst auftreten wird.
Sekundärprävention wendet sich an Risikogruppen und an Gruppen, bei denen das relevante Problem schon existiert, aber noch nicht voll ausgebildet ist, um die volle Problemmanifestation zu verhindern, sowie an deren Umfeld. Sie zielt auf die Identifikation und Beendigung oder Verbesserung bei Störungen, Prozessen oder Problemen zum ehest möglichen Zeitpunkt.
Tertiärprävention Typ A wendet sich an Menschen mit einem relevanten Suchtproblem, um es mit ihnen gemeinsam zu lösen, zu minimieren oder zumindest eine weitere Verschlechterung zu verhindern. Sie zielt auf die Beendigung oder zumindest Verlangsamung der Entwicklung von Störungen und den daraus resultierenden Folgen, auch wen die Ursache dafür weiterexistiert.
Tertiärprävention Typ B wendet sich an Personen, die ihr Suchtproblem erfolgreich bewältigt haben, und bietet Unterstützung, damit dieser Problemlösungsprozess ein dauerhafter und nachhaltiger bleibt, sowie an deren Umfeld (vgl. Uhl/Springer 2002, S 23).
Die Wahrnehmung der körperlichen Attraktivität ist in den verschiedenen Kulturkreisen auch unterschiedlich, insbesondere in Bezug auf die Körpergröße und Körperform von Frauen. Boothroyd et al. (2020) haben Hypothesen untersucht, ob visuelle Medien westliche schlanke Ideale in andere Kulturkreise transportieren können. Sie lieferten dabei sowohl einen Querschnitts-, Längsschnitt- als experimentellen Nachweis mittels Feldforschung, dass die Medienexposition Veränderungen in der Wahrnehmung der weiblichen Attraktivität bewirken kann. Dabei wurde der Einfluss des Medienzugangs auf weibliche Körperideale in einer abgelegenen Region Nicaraguas überprüft, indem man Stichproben aus Dörfern (300 Männer und Frauen) mit und ohne regelmäßigen Fernsehzugang miteinander verglich. Es zeigte sich dabei, dass ein höherer Fernsehkonsum ein signifikanter Prädiktor für die Präferenz für schlankere, kurvigere Frauenfiguren ist. Während die erste Gruppe Frauen mit einem Body-Mass-Index von 22 am ansprechendsten fand, lag der durchschnittlich bevorzugte Body-Mass-Index bei der Vergleichsgruppe um fünf Punkte höher. Innerhalb eines Dorfes zeigten die Analysen über drei Jahre hinweg auch einen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Fernsehkonsum und den Präferenzen für schlankere Figuren. Schließlich zeigt eine experimentelle Studie in zwei medienarmen Dörfern, dass sich der Kontakt mit Medienbildern von Modellen direkt auf die Ideale der Teilnehmerinnen auswirkte. In einer Befragung hatte man nämlich manchen Dorfbewohnern Fotos von sehr schlanken Frauen gezeigt, anderen hingegen Aufnahmen von Frauen mit deutlich mehr Körperfülle, wobei sich danach die Einstellung der ProbandInnen in Richtung des ihnen präsentierten Schönheitsideals verschob.
Böhme-Bloem, C.; Schulte, M. (1990). Bulimie: Entwicklungsgeschichte und Therapie aus psychoanalytischer Sicht. Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
Boothroyd, L.G., Jucker, J.-L., Thornborrow, T. Barton, R., Burt, D.M. Evans, E.H. Jamieson, M. & Tovee, M.J. (2020). Television Consumption Drives Perceptions of Female Body Attractiveness in a Population Undergoing Technological Transition. Journal of Personality and Social Psychology, doi:10.1037/pspi0000224.
Cuntz, U.; Hillert, A. (1998). Essstörungen: Ursachen, Symptome, Therapien. München: Beck’sche Reihe.
Focks, P. (1994). Das andere Gesicht: Bulimie als Konfliktlösungsstrategie für Frauen. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
Gerlinghoff, M.; Backmund, H. (1997). Der heimliche Heißhunger. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Gerlinghoff, M.; Backmund, H. (1999). Schlankheitstick oder Essstörung? München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Palazzoli, M. (1986). Bulimie Von der Behandlung einzelner zur Familientherapie. Stuttgart: Ernst Klett Verlag.
Posch, W. (1999). Körper machen Leute. Der Kult um die Schönheit. Frankfurt: Campus.
Prahl, H.; Setzwein, M. (1999). Soziologie der Ernährung. Wiesbaden: Leske + Budrich Verlag.
Uhl, A., Springer, A. (2002). Professionelle Suchtprävention in Österreich. In: Leitbildentwicklung der Österreichischen Fachstellen für Suchtprävention. Wien: Hausdruckerei des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen.
Westenhöfer, J. (1996). Gezügeltes Essen und Störbarkeit des Essverhaltens. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
Wilk, N. (2002). Körpercodes. Frankfurt am Main: Campus Verlag.